»Ingelheimer Haderbücher« 1387 bis 1534
Gerichtsprotokolle aus dem spätmittelalterlichen Ingelheim

Die Ingelheimer Haderbücher

Mittelalterliche Laienrichter sprachen Recht nach altem Herkommen, überlieferter Gewohnheit und gemäß dem Rechtsempfinden ihrer Zeit. Anfangs wurde vor deutschrechtlichen Gerichten nur mündlich verhandelt. Im 14. Jahrhundert ging man allmählich dazu über, den Hader und Streit innerhalb der Gemeinschaft schriftlich festzuhalten. Auch am Gericht Ingelheim entstanden in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts die ersten »Haderbücher«. Geschulte Schreiber fertigten Protokolle der Verhandlungen vor den Ingelheimer Ortsgerichten an und trugen sie dann in das vorgesehene Haderbuch ein.

Trotz mannigfaltiger Verluste im 19. und 20. Jahrhundert haben sich aus den Jahren 1387 bis 1534 zahlreiche Haderbücher (sowie etliche Fragmente) im Stadtarchiv Ingelheim erhalten. (→ Übersicht) Mit dieser Fülle stellen die »Ingelheimer Haderbücher« die frühesten seriell erhaltenen gerichtlichen Textzeugnisse im deutschen Sprachraum dar und eröffnen für einen längeren Zeitraum einen einzigartigen Einblick in die Prozessführung eines weltlichen deutschrechtlichen Niedergerichtes.

In den Protokollen spiegelt sich das tägliche Leben in Ingelheim wider, das Gegen- und Miteinander von Reichsrittern, Reichsministerialen, Kloster- und Kirchenleuten, alteingesessenen Patrizierfamilien und einer Bevölkerung, die im »Ingelheimer Reich« wohnte und von der Landwirtschaft, dem Handwerk und dem Handel lebte. Somit bieten die Haderbücher einer Vielzahl von Disziplinen und Fragestellungen innerhalb der Geschichts-, Sprach-, Rechts-, Mentalitäts- und Kulturwissenschaft wichtige Ansatzpunkte.

Zank und Zoff im Dorf

Hader ist ein altes Wort für »Streit«, »Zank«. »Miteinander hadern« steht dabei nicht nur für eine verbale und zuweilen auch handgreifliche Auseinandersetzung, sondern auch für das Bestreben, den Zwist von Dritten entscheiden bzw. schlichten zu lassen. Wenn sich also die Ortsgerichte der Streitigkeiten der Dorfbewohner annahmen, versuchten sie nicht nur, zwei streitende Parteien miteinander zu vergleichen, sondern trugen mit ihrer Tätigkeit auch entscheidend dazu bei, dass der allgemeine Dorffrieden erhalten blieb.

Die Verhandlungen leitete der zuständige Ortsschultheiß. Bis zu vierzehn Schöffen nahmen an den öffentlichen Gerichtssitzungen teil. Es bestand keine Anwesenheitspflicht, ein Urteil konnte aber nur gefällt werden, wenn mindestens acht Schöffen anwesend waren. War dies nicht der Fall, wurde der Streit an das Vollgericht verwiesen und erst dann entschieden, wenn die vorgeschriebene Anzahl der Schöffen zugegen war. Geschulte Rechtsbeistände leisteten den Prozessgegnern Hilfestellung bei den sich rasch institutionalisierenden Rechtsvorschriften und Rechtshandlungen.

Verhandelt wurden vor den Ingelheimer Ortsgerichten alle Fälle einer niederen Gerichtsbarkeit: strittige Erbangelegenheiten, Grenzstreitigkeiten, unstimmige Verkaufsabsprachen, Verpfändungen und Verpachtungen, Übervorteilungen, Unterschlagungen, Beleidigungen, Schlägereien, Vergehen gegen das Dienstrecht, nicht gezahlte Gelder für Lieferungen, Leistungen usw.

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